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"KIEZ UNITED"
war eine Gemeinschaftsveranstaltung
der Kreuzberger Szenetreffs am 1. Oktober 2005.


www.kiez-united.de





Kreuzberg: Kneipe schlägt Lounge

Hauptfeind Kaufhausmusik: Wirte in SO 36 machen mobil gegen die "Latte Macchiatisierung" ihres Kiezes

Von Joachim Fahrun



Gesine, Webmasterin und Mit-Initiatorin von KIEZ UNITED, trug gemeinsam mit Häxä wesentlich zum Erfolg des ersten Kiez-Events bei.
Es gab Zeiten in Kreuzberg, da hätten all die Cocktail-Lounges und Edel-Restaurants eines Nachts einen Gülle-Anschlag erlitten. Der Kiez ist unser, raunte es durch die Szene, blöder Kommerz soll draußen bleiben. Das alte SO 36 um das Kottbusser Tor wollte das gallische Punk- und Krawall-Dorf bleiben, das im Schatten der Mauer die bürgerlichen Rest-Berliner erschaudern ließ. Nicht nur am 1. Mai.
Mit den Jahren sind die Szene-Helden milder geworden, haben sich mit den Mechanismen der Welt arrangiert. Der Zuzug der Musik-Fuzzis von MTV und Universal in den neuerdings wieder schwer gefragten Kiez schreckt niemanden mehr. Geld zu verdienen mit Kunst, Musik und Gastronomie finden nur noch die ganz Harten verwerflich.

Anstatt die böse Welt zu bejammern, gehen die Veteranen in die Offensive: Die Initiative "Kiez United" (www.kiez-united.de) vereint am Sonnabend ab 18 Uhr 21 mehr oder weniger alteingesessene Kneipen, Clubs, Galerien und Restaurants. Sie alle wollen den Zauber handgemachter harter Musik, schräger Kiezkultur und persönlicher Bewirtung dem Volke näherbringen und ein Zeichen gegen die "Latte Macchiatisierung und Loungisierung" Kreuzbergs setzen. Dazu pendeln nach dem Vorbild der großen Club- und Museums-Nächte sogar Kleinbusse als "Kiez-Kutschen" zwischen Oranienplatz und Wiener Straße.
Dabei sind Gasthäuser mit Eisbein auf der Karte wie das Max und Moritz ebenso wie der Hip-Hop-Laden Tek und das Rock'n'Roll-Mekka "Wild at Heart". Sie alle eint das gewisse Kreuzberg-Flair: das gelassene Beharren gegen den aufgeregten Wandel, der Friedrichshain oder Prenzlauer Berg erfaßt hat, wo die Studentenrudel die neuesten Moden suchen und fast täglich neue, oft austauschbare Bars eröffnen. Alle Teilnehmer lassen sich auch im Alltag regelmäßig kreative Aktionen einfallen, Konzert, Kurzfilm oder Kabarett. "Ich möchte an jeder Ecke eine Bühne für kreative Leute", schildert Gesine, die das Projekt koordiniert, ihre Motivation.
"Ich vermisse das alte Kreuzberg", sagt Hexä. Die Initiatorin von Kiez United ist Chefin im Trinkteufel, einer legendären Kneipe an der Adalbertstraße, die am Wochenende durchgehend offen hat, wo der halbe Liter Bier 1,60 Euro kostet und E-Gitarren im Schaufenster von den musikalischen Vorlieben des Publikums künden. "Hier sind Punks und Anzugträger willkommen", betont Hexä, die mittlerweile ein bißchen älter als 29 ist und im Kiez als Kummerkasten und Kontaktbörse hohes Ansehen genießt: "Wir sind zwar tätowiert und gepierct, aber nicht schlimm."
Das alte Kreuzberg: Das hatte etwas von Familie, die in derben Lederjacken an blanken Holztischen in Kneipen wie dem Franken oder dem Franziskaner die Nächte durchsumpfte, wo in vielen dunklen Höhlen rauhe Bands schrummelten und man sich auf engem Raum doch auch in Ruhe ließ. Heute beklagen Mittdreißiger mit buntem Haar den Vormarsch der uniformen Gastronomie-Kultur, die Ketten, die mit billigeren Preisen Kunden anlocken können. Und die "Kaufhausmusik", Billigtechno aus der Konserve, der viele der neueren Etablissements beschallt.
Was einst in Abgrenzung mündete, wird heute in eine Einladung gewendet: "Es geht darum. Leute und weitere Läden mit an Bord zu nehmen", erklärt Gesine. Auch Cocktail- und Latte Macchiato-Lounges sollten leben. "Aber ich fürchte, daß es sich irgendwann nicht mehr die Waage hält. Wir wollen, daß das Nischenprogramm weiter existiert." Kiez United soll alle drei Monate stattfinden.

Berliner Morgenpost vom 30.09.2005